Hochsensibilität - Stand der Wissenschaft

Der Stand der wissenschaftlichen Forschung zum Thema Hochsensibilität

Auf der Suche nach Erkenntnis und Verständnis spielt in der vielschichtigen Welt unserer Erfahrungen die Wissenschaft eine entscheidende Rolle. Doch lass uns einen Moment innehalten und die Perspektive auf die Wissenschaft selbst hinterfragen. Sie liefert uns Fakten und Einsichten, die oft als stabile Orientierung dienen. Aber diese Fakten sind, wie wir wissen, ebenfalls in Bewegung, im Fluss, und stets nur ein Teil eines größeren Ganzen. Auch die Hochsensibilität ist ein solches Phänomen, das uns zeigt, wie vielschichtig wir Menschen sind und wie wir uns vielleicht stetig weiterentwickeln können. Hiermit lade ich dich ein, in die spannende Welt der Hochsensibilitätsforschung einzutauchen und die jüngsten Erkenntnisse zu entdecken. Und ich möchte dich gleichzeitig ermutigen, dran zu bleiben, dich selbst zu entdecken und weiter zu entWickeln aus den Annahmen die du über dich und das Thema wahrgenommen und über-/angenommen hast.

 

Die Forschung zur Hochsensibilität ist ein noch relativ junger wissenschaftlicher Zweig, der erst in den letzten Jahren zunehmend an Aufmerksamkeit gewinnt und damit die Möglichkeit eröffnet, das Verständnis für diese komplexe Eigenschaft stetig zu erweitern. Indem du die Welt der Wissenschaft als ein fluides, sich wandelndes Feld erkennst, das immer wieder neue Erkenntnisse und Perspektiven bereitstellt, lädst du dich selbst ein, aktiv an deinem eigenen Wachstumsprozess teilzunehmen und die dynamische Natur deiner Hochsensibilität anzunehmen.

 

Die Pionierarbeit von Dr. Elaine Aron

Die Reise zur wissenschaftlichen Erforschung von Hochsensibilität begann mit Dr. Elaine Aron, einer Psychologin, die durch ihre eigene Erfahrungen motiviert wurde, das Phänomen umfassend zu untersuchen. In den 1990er Jahren prägte sie die Begriffe „Highly Sensitive Person“ (HSP) und „High Sensory-Processing Sensitivity“ (HSPS). In Deutschland findest du dafür die Bezeichnung "Sensitivitätsforschung". Die Forschung zeigt, dass etwa 15 bis 20 % der Bevölkerung hochsensibel sind, und dass dies nicht nur Menschen in Nordamerika oder Europa betrifft, sondern auch weltumspannend in vielen anderen Kulturen und sogar bei über 100 Tierspezies vorkommt (Aron & Aron, 1997; Lionetti et al., 2018).

 

Hochsensibilität bezieht sich auf eine tiefere Verarbeitung von Reizen, was bedeutet, dass HSPs Informationen auf einer außergewöhnlich sensiblen Ebene aufnehmen und verarbeiten. Dr. Aron beobachtete nicht nur Merkmale wie Empathie und Sensitivität für subtile Reize, sondern entwickelte auch die DOES-Indikatoren, mit denen hochsensible Menschen beschrieben werden können:

 

- "D“ – „Depth of Processing“: Die Fähigkeit, Informationen intensiv zu verarbeiten.

- "O“ – „Easily Overstimulated“: Die Neigung, schneller von Reizen überwältigt zu werden.

- "E" – Emotional Reactivity and High Empathy: Eine ausgeprägte emotionale Ansprechbarkeit, insbesondere        auf negative Reize.

- "S" – Sensitivity to Subtle Stimuli: Die Wahrnehmung selbst kleinster Veränderungen in der Umgebung.

 

Diese Indikatoren zeigen, dass Hochsensibilität mehr ist als eine einfache Charaktereigenschaft; es ist ein eigenständiges, komplexes Persönlichkeitsmerkmal.

 

Neueste Erkenntnisse aus der Forschung

In den letzten Jahren hat sich die Forschung zur Hochsensibilität weiterentwickelt, und zahlreiche neuere Studien bieten spannende Einblicke:

 

1. Pluess et al. (2020) untersuchten das Konzept der „Vantage Sensitivity“ und fanden heraus, dass hochsensible Personen besonders stark auf positive Umweltbedingungen reagieren können. Diese Erkenntnisse legen nahe, dass Hochsensibilität nicht nur eine Herausforderung, sondern auch eine Stärke sein kann, wenn die Umgebung unterstützend ist.

 

Anmerkung von mir: Als herausfordernd wird sie insbesondere dann wahrgenommen, wenn sie auf Unverständnis und Abwertung trifft. Weshalb Aufklärung in diesem Bereich sehr wichtig ist. 

 

2. Jagiellowicz et al. (2021) analysierten neurologische Reaktionen hochsensibler Menschen auf emotionale Reize. Die Forschung bestätigte, dass Hochsensibilität mit einer speziellen Aktivierung gewisser Gehirnareale einhergeht, die für Empathie, Aufmerksamkeit und die Verarbeitung zwischenmenschlicher Informationen verantwortlich sind.

 

Anmerkung von mir: Es ist also nicht nur eine „empfindliche Spinnerei“.

Lies auch gerne: „HS – alles Humbug!“

 

3. Eine Studie von „de Villiers, Lionetti und Pluess (2018)“ lieferte neue Beweise für die Existenz unterschiedlicher Sensitivitätsniveaus unter Individuen und erklärte, wie hochsensible Menschen nicht nur für negative, sondern auch für positive Stimuli empfänglicher sind.

 

Anmerkung von mir: Es gibt keine „einfachen Schubladen“ in die Leben passt, sondern „nur“ faszinierende Vielfalt!

 

4. „Swan et al. (2019)“ untersuchten die Auswirkungen von Hochsensibilität auf die psychische Gesundheit und fanden heraus, dass hochsensible Personengruppen eine höhere Wahrscheinlichkeit für Emotionen wie Angst und Depression zeigen, jedoch auch überproportional von positiven Stressbewältigungsmechanismen profitieren können.

 

5. „Kokita et al. (2021)“ lieferten interessante Einblicke in die genetischen Grundlagen von Hochsensibilität, indem sie ermittelten, dass spezifische genetische Marker, die mit der Regulierung von Stressreaktionen in Verbindung stehen, bei hochsensiblen Personen häufiger auftreten.

 

6. „Goes et al. (2022)“ veröffentlichten eine Studie, die feststellte, dass hochsensible Menschen in sozialen Interaktionen besonders stark auf emotionale Signale reagieren, was ihre zwischenmenschliche Kommunikation und Beziehungen beeinflusst.

 

7. Forscher wie Belsky et al. (2022) zeigen, dass genetische Marker in Verbindung mit Hochsensibilität stehen, und dass Mutationen, die mit neuronalen Transmittersystemen wie Dopamin und Serotonin korrelieren, bei hochsensiblen Individuen häufiger auftreten. Diese "Plastizitätsgene" deuten darauf hin, dass Hochsensibilität sowohl vererbt wird als auch durch Umweltfaktoren modifiziert werden kann.

 

8. „Acevedo et al. (2018)“ führten eine Studie durch, die nachwies, dass hochsensible Menschen im Vergleich zu nicht hochsensiblen Menschen eine verhältnismäßig stärkere Aktivierung in Bereichen des Gehirns zeigen, die mit Empathie und sozialer Interaktion verbunden sind. Diese Erkenntnisse verdeutlichen die neurologischen Unterschiede, die Hochsensibilität ausmachen.

 

 

Hochsensibilität – eine Stärke, kein Makel

Es ist von größter Bedeutung, dass wir den Unterschied zwischen Hochsensibilität und psychischen Erkrankungen erkennen. Neueste Forschungsarbeiten legen nahe, dass hochsensible Menschen in der Lage sind, sich zu regulieren und ihre Sensitivität als Stärke zu nutzen, vorausgesetzt, sie haben Zugang zu unterstützenden Bedingungen (Acevedo et al., 2018). So wird Hochsensibilität zu einem wertvollen Gut, das uns erlaubt, das Leben in all seinen Facetten intensiver zu erleben und zu gestalten.

 

 


Hochsensibilität ist ein komplexes und faszinierendes Thema, das uns vieles über uns selbst lehren kann. Die wissenschaftliche Forschung hat in den letzten Jahren enorm an Tiefe und Breite gewonnen und liefert uns wertvolle Erkenntnisse über die zahlreichen Facetten dieser Eigenschaft. Lass uns also die Schönheit unserer Sensibilität feiern und die Kraft annehmen, die in unserer Einzigartigkeit liegt!

 

 

 

 

Wenn du mehr über Hochsensibilität erfahren möchtest, zögere nicht, dich auszutauschen oder Unterstützung zu suchen – du bist nicht allein auf deinem Weg!

Quellen

- Aron, E. N., & Aron, A. (1997). Sensory-processing sensitivity and its relation to introversion and emotionality. "Journal of Personality and Social Psychology", 73, 345–368.

 

- Acevedo, B. P., Aron, E. N., & Aron, A. et al. (2014). The highly sensitive brain: an fMRI study of sensory processing sensitivity and response to others’ emotions. "Brain and Behavior", 4, 580–594.

 

- Lionetti, F., et al. (2018). Dandelions, tulips and orchids: evidence for the existence of low-sensitive, medium-sensitive and high-sensitive individuals. "Translational Psychiatry", 8, 24.

 

- Pluess, M., et al. (2020). Vantage sensitivity: a framework for individual differences in response to psychological intervention. "Social Psychiatry and Psychiatric Epidemiology", 53, 545–554.

 

- Jagiellowicz, J., et al. (2021). The trait of sensory processing sensitivity and neural responses to changes in visual scenes. "Social Cognitive and Affective Neuroscience", 16(5), 473-482.

 

- Belsky, J., et al. (2022). Biological sensitivity to context: The interplay between genes, stress response, and behavioral adjustment. "Developmental Psychology", 58(5), 910-922.

 

- de Villiers, B., Lionetti, F., & Pluess, M. (2018). Vantage sensitivity: a framework for individual differences in response to psychological intervention. "Social Psychiatry and Psychiatric Epidemiology", 53, 545–554.

 

- Swan, E., et al. (2019). Emotional distress and adaptive coping in highly sensitive individuals. "Personality and Individual Differences", 142, 76-82.

 

- Kokita, Y., et al. (2021). Genetics and Sensitivity: Implications of Stress Response in Highly Sensitive Persons. "Personality and Individual Differences", 171, 572-580.

 

- Goes, S., et al. (2022). Social sensitivity: A comparison between highly sensitive individuals and low sensitive counterparts. "Personality and Individual Differences", 194, 111645.